Nach Cherson fallen auch einige Sanktionen: Nur Zufall, nichts weiter ...
Von Tatjana Montjan
Am Freitag wurde bekannt, dass die Londoner Börse ihre Pläne aufgegeben hat, den Handel mit russischem Metall zu verbieten. Darüber hinaus hat das Vereinigte Königreich Finanzdienstleistungen erlaubt, die die Versorgung mit russischen Düngemitteln sicherstellen. Die Niederlande erlaubten den Abtransport von 20.000 Tonnen russischer Düngemittel aus Rotterdam, die dort wegen der Sanktionen festsaßen. Flüssiggas von der Insel Sachalin konnte zum ersten Mal seit sechs Monaten nicht nur ohne Preisnachlass, sondern sogar mit einem Aufschlag auf den Marktpreis verkauft werden. Die Türkei hat die Einrichtung eines Hubs für Erdgas auf ihrem Staatsgebiet angekündigt und damit begonnen, russisches Gas teilweise in Rubel zu bezahlen. Die USA haben erklärt, dass sie keine Sanktionen gegen Indien verhängen werden wegen dessen Kauf russischen Erdöls oberhalb der US-Preisgrenzen.
Und schließlich der kurioseste Teil: Ist Ihnen auch aufgefallen, dass die "Schahid"-Drohnen und die Kaliber-Raketen am Himmel über der Ukraine praktisch nicht mehr zu sehen sind? Und dies, wo man nur einen Schritt von der vollständigen Zerstörung des ukrainischen Energiesystems entfernt war, was unweigerlich zur Abwanderung von mindestens 10 Millionen Frauen, Kindern und der städtischen Bevölkerung der Ukraine in andere Teile Europas geführt hätte.
Ich vermute, dass es die Europäer waren, die angesichts eines drohenden migrationspolitischen Armageddons die US-Falken dazu brachten, einen Schritt zurück zu machen und Verhandlungen mit Russland aufzunehmen. Die Tatsache, dass sich das Speckreich (so bezeichnet Montjan das Kiewer Maidan-Regime - d. Red.) unter der Führung von Selenskij überhaupt nicht um die humanitäre Katastrophe und das Leid der ukrainischen Bürger schert, ist allseits bekannt. Die jetzt erstmals in Kiew öffentlich bekundete Verhandlungsbereitschaft ist nur mit einem entsprechenden Befehl aus Washington zu erklären.
Alles in allem scheint es sehr wahrscheinlich, dass eine Art Vereinbarung getroffen wurde, deren Kernpunkt darin bestand, dass Russland sich still und leise aus Cherson zurückzieht und die Zerstörung der ukrainischen Elektrizitätswirtschaft beendet wird. Es lohnt sich jedoch, die Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, bevor man den Kreml dafür mit Flüchen überzieht. Und trotz aller negativen Einstellung zu Hinterzimmerdeals im Allgemeinen sollten wir zugeben, dass die Handelsbilanz für den Kreml dieses Mal, so ungewöhnlich es klingt, positiv ist.
Ich habe bereits geschrieben, dass der Abzug aus Cherson aufgrund der enormen logistischen Probleme eine militärische Notwendigkeit und nur eine Frage der Zeit war. Auf den Aufnahmen der Antonowski-Brücke, die im Netz kursieren, kann man sehr gut die Schäden sehen, die durch den monatelangen ukrainischen Beschuss von HIMARS-Raketen entstanden sind. Die Brücke ist eindeutig unpassierbar für Lastwagen. Es ist unrealistisch, täglich die nötigen Tonnen Munition und anderer militärischer Güter zu transportieren, um 35.000 bis 40.000 russische Soldaten zu versorgen, und es gibt auch einen Bedarf an nicht-militärischen Gütern. Früher oder später hätten Cherson und das gesamte rechte Ufer aufgegeben werden müssen – die Frage war nur, wann dieser Zeitpunkt sein würde und wie hoch die Verluste der Parteien bis dahin wären.
Russland hätte Cherson und den Brückenkopf am rechten Dnjepr-Ufer halten können, allerdings unter hohen Kosten und großen Verlusten. Das Problem ist, dass die russische Armee mit ihren frisch mobilisierten Kämpfern derzeit objektiv nicht auf solche Operationen vorbereitet ist und die russische Gesellschaft nicht bereit ist, den Preis zu zahlen, der für Cherson zu zahlen gewesen wäre.
Es scheint also, dass es dem Kreml gelungen ist, einen Vermögenswert – der ohnehin kaum zu halten war - gegen einige sehr reale Vorteile einzutauschen. Die vollständige Liste dieser Vergünstigungen ist uns noch nicht bekannt, aber wir werden die Situation weiter verfolgen und vielleicht können wir am Ende zumindest die allgemeinen Konturen des "Cherson-Deals" verstehen.
Wie durch Zufall begann Russland pünktlich zum Abzug aus Cherson plötzlich, im Donbass Fortschritte zu machen. Pawlowka, Opytnoe und Majorsk wurden eingenommen, und ich vermute, dass dies nicht die letzten Siedlungen in der Nähe von Donezk sind, die von Russland übernommen werden. Die Propaganda des Speckreichs zieht es vor, über die "Verlegungen" der ukrainischen Streitkräfte aus diesen Gebieten zu schweigen und ihre ganze Aufmerksamkeit auf Cherson zu richten.
Natürlich muss Russland auch damit rechnen, dass die Ukraine ihren Teil der mutmaßlichen Vereinbarungen nicht einhalten wird. Auch wenn es dann nicht möglich sein wird, schnell nach Cherson zurückzukehren, ist es durchaus möglich, ein paar Hundert Flugdrohnen und Marschflugkörper in Richtung der ukrainischen Stromnetze zu starten.
In der Zwischenzeit müssen die Bürger der Ukraine weiterhin mit Stromausfällen von drei bis vier Stunden alle vier bis fünf Stunden leben, was bei mehr oder weniger lang anhaltenden Frösten den Zusammenbruch des gesamten ukrainischen Energiesystems zur Folge haben kann. Objektiv sind dieses Mal beide Seiten daran interessiert, eine kleine Pause einzulegen. Russland muss Rohstoffe verkaufen, um den Staatshaushalt aufzufüllen, und vor allem muss es Hunderttausende frisch mobilisierter Kämpfer ausbilden, bewaffnen und ausrüsten.
Die EU muss diesen Winter überstehen, ohne dass Millionen aus den zugefrorenen Städten der Ukraine in Scharen geflohener Ukrainer europäische Ressourcen zusätzlich strapazieren. Die USA – und darüber besteht trotz der unterschiedlichen Wahlkampfrhetorik ein parteiübergreifender Konsens – brauchen einen lang anhaltenden Konflikt, in dem Russland systematisch geschwächt wird, eine kurze Pause ist für sie da nicht entscheidend.
Die einzigen, die mit der sich abzeichnenden Pause unzufrieden sind, sind die Machthaber in Kiew. Für sie bedeutet die Pause einen Verlust an Tempo und eine Stärkung des Feindes in Gestalt der russischen Armee. Doch sie können nichts dagegen tun, weil sie ganz und gar abhängig sind von Waffenlieferungen und direkten Finanzspritzen westlicher Gönner. Ohne ausländische Hilfe ist das Speckreich nicht lebensfähig und wird auch gegen die russische Armee nicht länger als ein paar Wochen bestehen können.
Nach dem Sieg des Kiewer Maidan, dem Besuch Burkhalters in Moskau und der Annexion der Krim gibt es für Russland und die Ukraine keine Möglichkeit mehr, auf der politischen Weltkarte langfristig nebeneinander zu existieren. Das war die Absicht der sehr erfahrenen und "angesehenen" "Partner aus dem Westen", denen es bekanntermaßen völlig schnuppe ist, ob die Huronen die Mohikaner besiegen oder andersherum. Jetzt, nach der Annexion von vier weiteren Gebieten, sind ein friedliches Ende und langfristige Vereinbarungen erst recht unmöglich geworden.
Deshalb habe ich seinerzeit gesagt, dass es keinen Sinn hat, mit Referenden und der Annexion einzelner Gebiete herumzuspielen. Es wäre logischer, die gesamte Ukraine auf einmal an Russland anzugliedern, so dass niemand auf die Idee käme, es würde in Cherson enden. Das wird es nicht, und es ist höchste Zeit, klarzustellen, dass Russland gezwungen sein wird, die Westgrenze der Ukraine zu erreichen, so unrealistisch das heute auch klingen mag. Verschwenden Sie also nicht Ihre Nerven für taktische Truppenbewegungen. Gemessen an der Größe der Gesamtaufgabe erscheinen all diese Bewegungen nichtig und klein.
Dank seiner "angesehenen westlichen Partner" hat Russland doch noch eine Chance, den Weg der Samurai einzuschlagen – es muss sich dafür im Inneren ändern und neu aufstellen. Das, was jetzt geschieht, hat Wladimir Grubnik (alias "Geist Neurusslands", der Erfinder des "Z"-Zeichens - d. Red.) schon am 30. März vorhergesehen, als er schrieb:
"Lasst alle Hoffnung und jede Illusion fallen, zertretet euren Glauben, wärmt euch nicht im Paternalismus. Stellt euch stattdessen den Realitäten, denkt scharf und rechnet exakt. Nur dann wird das, was euch in den kommenden Monaten erwartet, für euch nicht schockierend oder unerklärlich sein. Die rosarote Brille wird so oder so zerspringen und ihr zerborstenes Glas wird euch blutige Wunden zufügen. Es wird in jedem Fall schmerzhaft werden. Aber nur dieser Schmerz kann für ein reinigendes Erwachen sorgen. Und dafür, dass wir uns im Spiegel so sehen, wie wir sind.
Viele von uns dachten bis jetzt, ein junger Zwei-Meter-Blondling mit blauen Augen und durchtrainierten Muskeln zu sein, aber in Wirklichkeit sind wir ein müder Mann mittleren Alters mit Schlafmangel, einer Reihe chronischer Krankheiten, einem Bierbauch, Kurzatmigkeit und psychischen Problemen. Was machen Sie jetzt damit? Sie sollten glücklich sein! Freuen Sie sich, dass endlich, nach all dem patriotischen Pathos und kraftmaierischem Selbstbetrug, wir uns endlich so sehen können, wie wir sind. Auch wenn dieses Bild alles andere als das erträumte ist, so ist es doch real und nicht hoffnungslos.
'Aber Sie sind immer noch ein zäher alter Mann, Rosenbohm!' Sehr, sehr robust – und dieser pummelige, erfrorene Mann mit Kurzatmigkeit und Bauch, der sich aufgerappelt hat, zur Vernunft gekommen ist, nicht mehr jammert und krümelt, seine fröhliche Entschlossenheit an den Tag gelegt hat und wütend geworden ist, wie es sich gehört, kann immer noch so kräftig schütteln, dass er jedes Hindernis aus dem Weg räumt. Ganz zu schweigen von irgendeiner ehemaligen Ukraine."
Tatjana Montjan ist eine prominente ukrainische Rechtsanwältin und Strafverteidigerin, Publizistin und Bloggerin mit Millionenpublikum. 2004 noch auf der Seite des ersten Maidan, bezeichnete sie den Maidan im Herbst 2013 als Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit und stellte sich entschieden gegen diesen. Vor Beginn der russischen militärischen Intervention musste sie Kiew verlassen, nachdem sie vor der UNO über die Zustände in der Ukraine gesprochen hatte. Derzeit lebt sie im Donbass, engagiert sich für humanitäre Hilfe und führt tägliche Videoblogs. Man kann ihr auf ihrem Telegram-Kanal folgen. Ihr Kanal auf Youtube wurde im Frühjahr durch das US-Unternehmen gelöscht.
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.