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Acht Gründe, warum die USA kein Interesse an Frieden in der Ukraine haben

Washingtons Priorität ist es, Russland einzudämmen und möglichst ausbluten zu lassen. Wie sich die Kämpfe in der Ostukraine entwickeln und wie sie enden werden, bleibt nebensächlich.
Acht Gründe, warum die USA kein Interesse an Frieden in der Ukraine habenQuelle: Gettyimages.ru © Drew Angerer

Von Andrei Suschenzow

Es scheint nun, dass die USA nicht einmal im Entferntesten daran interessiert sind, eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts anzustreben, und es vorziehen, die militärische Kampagne fortzusetzen. Insgesamt machen sich die strategischen Planer in Washington wenig Gedanken über die Parameter zur Beendigung der Krise: ob die Ukraine innerhalb ihrer derzeitigen Grenzen bestehen bleibt, ihre Territorien im Osten und im Süden endgültig verliert oder ganz von der Landkarte verschwindet.

Trotz steigender Verluste und anhaltender Vernichtung des ukrainischen Militärs hat der Appetit auf militärische Aktionen nicht nachgelassen, weder in Kiew noch in Washington. Viele internationale Experten bezeichnen die USA zu Recht als den Hauptakteur in einer großen Koalition, die sich für eine Fortsetzung der Feindseligkeiten in der Ukraine einsetzt. In weniger als einem Jahr der Krise hat Kiew seine eigenen militärischen Ressourcen und die Mittel, sie aus eigener Kraft zu ersetzen, weitgehend erschöpft und ist vollständig auf externe Hilfe angewiesen.

Obwohl die USA die Führung bei der Koordinierung und die Strategie der Unterstützung des Westens übernahmen, wäre es falsch, ukrainische und US-amerikanische Interessen gleichzusetzen. Während man weiterhin Lippenbekenntnisse zu den politischen Forderungen Kiews ablegt, schätzt Washington sorgfältig den richtigen Zeitpunkt für die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland ein. Die Notwendigkeit diplomatischer Bemühungen zur Lösung des Konflikts wird von hochrangigen US-Militärs, insbesondere vom Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs Mark Milley, zunehmend betont. In der britischen Presse kursiert weiterhin die Vorstellung, die US-amerikanische Taktik bestehe darin, den Konflikt eskalieren zu lassen, um ihn später zu deeskalieren: Russland mit einer Welle groß angelegter Lieferungen von militärischer Ausrüstung an die Ukraine unter Druck zu setzen, um Kiew in eine günstigere Verhandlungsposition zu bringen.

Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Fortsetzung der militärischen Krise in der Ukraine im Einklang mit den militärischen und politischen Interessen der USA steht. Insgesamt acht Argumente sprechen dafür, dass die US-Amerikaner diesen Konflikt verlängern wollen.

Erstens ist da die relative Schwächung Russlands, das beträchtliche Ressourcen aufwenden muss, um die militärische Bedrohung durch die Ukraine zu eliminieren und die gesetzten politischen Ziele zu erreichen, damit ein gleichberechtigter Status in der europäischen Sicherheitsarchitektur erlangt werden kann. Das Narrativ der westlichen Medien, dass Russland am Rande einer Niederlage steht, erweckt, obwohl es weit von der Realität entfernt ist, den Eindruck, dass der Westen nur eine abwartende Haltung einnehmen muss. Die Absenz entscheidender und spektakulärer russischer militärischer Siege führt zu der Wahrnehmung, dass die Ukraine gewinnt.

Zweitens haben die USA ein berechtigtes Interesse daran, die Energiekooperation zwischen der EU und Russland endgültig zu unterbinden. Diese hat sich über viele Jahrzehnte entwickelt, beginnend während des Kalten Krieges. Die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines, die, wie es scheint, mit Unterstützung eines anderen NATO-Staates durchgeführt wurde, war der Höhepunkt einer langfristigen US-Strategie, die umfangreichen Verbindungen zwischen Moskau und den wichtigsten westeuropäischen Volkswirtschaften zu kappen. Die US-Amerikaner wollen den europäischen Energieverbrauch weg von Russland verlagern und ein schwierigeres Umfeld für die breitere europäische Industrie schaffen, damit die US-Wirtschaft weniger Konkurrenz hat und so die eigene Position stärken kann.

Drittens wollen die USA jeden Impuls für strategische Autonomie zwischen den EU-Staaten ausschalten. Die Ukraine-Krise bietet dafür eine hervorragende Gelegenheit, da es den USA und ihren Verbündeten in Osteuropa gelungen ist, im Informationsraum ein Momentum moralischer Panik zu erzeugen, der jede Reflexion über die Ursachen und Folgen dieser Krise verhindert. Strategische Entscheidungen über Waffenlieferungen werden unter dem Druck der Medien und eines radikalisierten Teils der Öffentlichkeit getroffen, ohne dabei die Folgen zu analysieren. Staatslenker und Eliten, die in der Lage gewesen wären, distanziert und nüchtern über die Folgen des Abgleitens der Beziehungen zwischen der EU und Russland in eine tiefe Krise nachzudenken, sind jetzt zahlenmäßig unterlegen und im Wesentlichen mundtot gemacht worden.

Viertens wollen die USA keine Niederlage der Ukraine erleben, nachdem im vergangenen Jahr sehr viel finanzielles, politisches und symbolisches Kapital investiert wurde. In den Augen des Westens ist die Ukraine ein "Vorkämpfer". Das alte Narrativ einer europäischen Zivilisation im Kampf gegen einen barbarischen Osten, das bis in die Zeit des antiken Griechenlands und seiner Konfrontation mit den persischen Horden zurückreicht, spielt sich hier erneut ab. Eine Niederlage der Ukraine wäre eine sensible symbolische Niederlage für den Westen und würde in den Köpfen vieler Intellektueller eine "offene Wunde" hinterlassen.

Fünftens haben sich die USA nicht von dem ideologischen Imperativ zurückgezogen, das zu verteidigen, was sie als "Freiheit" interpretieren. In der Situation um die Ukraine gibt es eine manichäische Darstellung eines Kampfes für "Freiheit gegen Unfreiheit". Washington sieht diesen ideologischen Imperativ auch in der innenpolitischen Situation in der Ukraine manifestiert, was natürlich nur möglich ist, wenn man die politischen Prozesse in Kiew "ohne Skepsis" betrachtet. Indem sie mit diesem Narrativ spielt, versucht die Regierung von Wladimir Selenskij, sich dem Westen in solchen ideologischen Kategorien zu präsentieren.

Sechstens besteht das US-Ziel darin, Westeuropa zur Remilitarisierung zu ermutigen. Washington ist sich bewusst, dass eine längere militärische Auseinandersetzung mit US-Streitkräften allein nicht möglich ist. Darüber hinaus sind sich die USA der wachsenden Bedrohung durch China bewusst und erkennen, dass ihre Ressourcen bald auf eine Konfrontation im Pazifik umgeleitet werden müssen. Auf der europäischen Bühne sucht Washington daher nach Wegen, den militärisch-industriellen Komplex (MIK) der EU zu stärken, damit die nationalen Verteidigungsbudgets auf mindestens zwei Prozent des BIP angehoben werden können.

Siebtens versuchen die USA, ihre europäischen Verbündeten um eine gemeinsame Plattform zur Bekämpfung ihrer "aufstrebenden" Gegner wie Russland, China und Iran zu konsolidieren. Hier versuchen die USA einfallsreich beim Aufbau von Koalitionen zu sein, die bereit sind, teure Hightech-Waffen herzustellen und zu verkaufen.

Achtens verfolgen die USA auch ihre eigene Reindustrialisierung via die Ukraine. Der Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes wird als wichtiges Ziel Washingtons angesehen. Nach dem Kalten Krieg wurde der westliche MIK neu ausgerichtet, um eine begrenzte Anzahl von Hightech-Waffen herzustellen, während die moderne konventionelle Kriegsführung die Massenproduktion von relativ kostengünstigen Artillerie-, Panzer- und Flugzeugsystemen erfordert.

All dies macht die USA äußerst desinteressiert, sich zeitnah für eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ukraine einzusetzen. Die US-Amerikaner glauben, dass die Zeit auf ihrer Seite ist und dass die oben aufgeführten acht Ziele erreicht werden können. Dies macht ihre Strategie ziemlich flexibel und zeigt, dass Washingtons Priorität darin besteht, Russland einzudämmen und möglichst ausbluten zu lassen, anstatt die zukünftige Sicherheit und den Wohlstand der Ukraine zu sichern.

Aus dem Englischen.

Andrei Suschenzow ist assoziierter Professor am staatlichen Institut für Internationale Beziehungen in Moskau und Programmdirektor beim Waldai-Club.

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