Auf verlorenem Posten im "Informationskrieg" – Desinformation und Unwahrheiten zu Ukraine und Krim

Der Westen spricht vom "Informationskrieg". Doch die Berichterstattung seiner Leitmedien zu Themen, die dessen Interessen berühren, ist schwerlich von journalistischen Standards geprägt. Ein erschreckendes Beispiel dafür liefert die ehemals renommierte Washington Post.
Auf verlorenem Posten im "Informationskrieg" – Desinformation und Unwahrheiten zu Ukraine und KrimQuelle: Sputnik

von Bryan MacDonald

Der aktuelle Versuch der Washington Post, "fünf Mythen über die Ukraine" zu präsentieren, hat mehr mit Fantasie als mit Wahrheit zu tun und zielt darauf ab, die Leser zu täuschen. Er deutet auch darauf hin, dass in dieser Zeitung Fakten nicht mehr überprüft werden.

Seit rund fünf Jahren begleitet uns der Aufschrei über "Desinformation". Und eines ist dabei sehr deutlich geworden: Diejenigen, die hierbei am lautesten krakeelen, sind oft die größten Übeltäter.

Die Tatsache, dass die Washington Post einen Artikel zur "Zerstörung der Mythen" über die Ukraine veröffentlicht hat, der weitgehend unwahr ist, ist also keine große Überraschung. Bemerkenswert ist dabei allerdings, was dies über die aktuelle Agenda des einst ehrwürdigen Blattes sagt. Insbesondere da der Standard der Berichterstattung zu Russland und zur Ukraine den Tiefstand journalistischer Arbeit auslotet.

Zuerst bringt man uns dort bei, dass die Ukraine nicht "die Ukraine" genannt wird. Ja, das ist absolut fair. Allein weil der bestimmte Artikel "die" darauf hindeutet, dass die Ukraine keine unabhängige Einheit ist, sondern ein Anhängsel von etwas anderem. Wie zum Beispiel die Krim, die allgemein als "die Krim" bezeichnet wird.

Die Autorin Nina Jankowicz hat also Recht, wenn sie sagt: "Der offizielle Name des Landes ist Ukraine", und auf der korrekten Bezeichnung besteht, die "Politiker, Journalisten und Experten benutzen sollten".

Ansonsten jedoch geht in dem Artikel ab hier alles bergab.

Die Märchen fangen an, als man uns weismachen will, dass die Vorstellung, "die Einwohner der Krim wollen ein Teil Russlands sein", ein "Mythos" sei. Jankowicz behauptet, dass 2014 russische Truppen "auf die ukrainische Halbinsel Krim einmarschierten und begannen, den lokalen Behörden die Kontrolle über militärische Anlagen und administrative Mittel und Maßnahmen zu entreißen".

Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr. Wahr ist, dass fast alle auf der Krim stationierten ukrainischen Militärs keinerlei Widerstand geleistet hatten. Also gab es auch keinerlei Grund, ihnen die "Kontrolle zu entreißen". In der Tat war es so, wie Reuters berichtete, dass ein großer Teil der auf der Halbinsel stationierten ukrainischen Soldaten überlief, sobald sich die Gelegenheit bot. Dazu gehörten rund 50 Prozent der lokalen Kommandeure, wie der damalige stellvertretende Chef des Generalstabs der ukrainischen Streitkräfte Alexander Rosmasnin bekannte.

Die Washington Post behauptet weiter, dass "der Kreml seit seiner Annexion den Zugang zur Halbinsel eingeschränkt hat, was es schwierig macht, die wahren Gefühle der Menschen zu beurteilen". Dies ist eine weitere offensichtliche Falschdarstellung. Die Krim ist keine abgeschlossene Region. Jeder, der ein russisches Visum besitzt (oder Anspruch auf visafreien Zugang zum Land hat), kann die Halbinsel so einfach besuchen wie Sankt Petersburg, Sotschi oder Moskau.

Tatsächlich ist es die Ukraine, die Hindernisse geschaffen hat. Kiew hat es für alle ausländischen Journalisten zu einer echten Herausforderung gemacht, die Krim von einem anderen Teil Russlands aus zu besuchen, und besteht stattdessen darauf, dass sie ausschließlich über die Ukraine einreisen. In der Praxis ist das allerdings schwierig und erfordert viel Zeit und Mühe. Es gibt keine Direktflüge oder Züge, und die Erlaubnis muss zuerst bei der für solche Reisen zuständigen Behörde in Kiew eingeholt werden. Das dauert drei Tage.

Falls das Amt grünes Licht gibt, haben Sie es anschließend mit einer neunstündigen Fahrt zu tun, auf einer weitgehend miesen Straße, bis zur De-facto-Grenze – wo Verzögerungen zu erwarten sind. Danach sind es noch zwei Stunden bis Simferopol, der Hauptstadt der Automen Republik Krim. Zum Vergleich: Ein gewöhnlicher Flug von Moskau nach Simferopol dauert zweieinhalb Stunden. Ein derart umständlicher Prozess erschwert es den Medien natürlich, einen Eindruck davon zu bekommen, was wirklich auf der Krim los ist.

Was die "schwierige Beurteilung der wahren Gefühle der Menschen" betrifft, so wurden in den letzten fünf Jahren zahlreiche Meinungsumfragen durchgeführt. Doch Jankowicz beschließt, keine einzige davon zu zitieren. Wohl deshalb, weil es ihre schöne Erzählung zerstören würde.

So ermittelte der US-amerikanische Staatssender BBG (inzwischen umbenannt in USAGM und Muttergesellschaft von Radio Free Europe/Radio Liberty und Voice of America) in Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Meinungsforschungsinstitut Gallup im Frühjahr 2014, nur zwei Monate nach dem Ende von 23 Jahren unter der Hoheit von Kiew, dass nach Meinung von 82,8 Prozent der Befragten das Krim-Referendum (von Jankowicz als "Betrug" bezeichnet) "die Ansichten der meisten Einwohner der Krim widerspiegelte". Darüber hinaus gaben 73,9 Prozent an, dass die Rückkehr nach Russland einen "positiven Einfluss auf ihr Leben" haben werde.

Einen Monat später berichtete Pew Research, ein weitere berühmte Adresse US-amerikanischer Meinungsforschung, dass nur sieben Prozent der Krimbewohner der Ansicht sind, die "ukrainische Regierung respektiert die persönlichen Freiheiten". Außerdem bestanden satte 91 Prozent darauf, dass die Abstimmung über die Rückkehr nach Russland "frei und fair" gewesen war. Und 88 Prozent wünschten, Kiew solle die Ergebnisse anerkennen.

Im Jahr 2015 stellte die in diesem Bereich in Deutschland führende Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) fest, dass sich an dieser Einstellung nichts geändert hatte. Wie von Forbes vermeldet, antworteten auf die Frage: "unterstützen Sie die Annexion der Krim durch Russland?" insgesamt 82 Prozent der Befragten "Ja, definitiv" und weitere elf Prozent "Ja, zum größten Teil". Nur zwei Prozent gaben an, dazu keine Meinung zu haben, und weitere zwei Prozent sagten Nein. Drei Prozent machten keine Angaben zu ihrer Position. Insbesondere war laut GfK nur ein Prozent der Krimbevölkerung der Meinung, dass die ukrainischen Medien "vollständig wahre Informationen liefern".

Und erst vor zwei Jahren führte das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS), ein vom Auswärtigen Amt finanziertes Forschungsinstitut, eine weitere Umfrage durch. Demnach rechneten "86 Prozent der Nicht-Tataren" damit, dass ein weiteres Referendum das gleiche Ergebnis haben würde. Ebenso wie die Mehrheit der Tataren selbst, die etwa zwölf Prozent der lokalen Bevölkerung ausmachen.

Dies waren alles Umfragen aus dem Westen. Sie können also schwerlich als "russische Propaganda" abgetan werden. Dennoch erlaubt die Washington Post ihrer Autorin, sie völlig zu ignorieren.

Verheerend kommt noch hinzu, dass Oleg Senzow in derselben Woche einem staatlich finanzierten US-Fernsehsender, der in der Ukraine präsent ist, gegenüber sagte:

Russland ist nach 20 Jahren [unter Kiews Herrschaft] bequemer [für die Einwohner der Krim] als die Ukraine. Man kann versuchen, es zu leugnen, aber es ist eine Tatsache.

Dies ist derselbe Oleg Senzow, der von der Europäischen Union 2018 mit dem Sacharow-Preis "für geistige Freiheit" ausgezeichnet wurde und der in Russland wegen Terroranschuldigungen im Zusammenhang mit der Krim – deren Grundlage er weiterhin bestreitet – zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

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Als Nächstes wird uns dann erklärt, dass die Ukraine keinen "Bürgerkrieg führt". Denn Russland unterstützt Separatisten im Osten. Zudem gibt es Vorwürfe, dass russische Soldaten mit ihnen gekämpft haben. Gleichzeitig liefern die Vereinigten Staaten tödliche Waffen nach Kiew und werden ukrainische Soldaten von der NATO ausgebildet.

Doch selbst wenn Russland (oder die USA) morgen beschließen sollten, einige Tausend Soldaten in aller Offenheit an die ukrainische Front zu schicken oder Luftunterstützung zu leisten, bliebe es eigentlich ein "Bürgerkrieg". In den Konflikten um Syrien und den Jemen, die noch immer als "Bürgerkriege" bezeichnet werden, gibt es erhebliche ausländische Beteiligungen. Während des Spanischen Bürgerkriegs in den 1930er-Jahren bombardierten die deutsche Luftwaffe und die italienische Aviazione Legionaria Zivilisten, aber der Name des Konflikts ist nicht der "Spanische Krieg der deutschen Aggression" oder Ähnliches. Übrigens hatte die Sowjetunion (der die Ukraine damals angehörte) seinerzeit ebenfalls Tausende von Kämpfern gegen den spanischen Faschismus verpflichtet.

In der Zwischenzeit sollten Sie nicht vergessen, dass der Russische Bürgerkrieg von 1917-22, in dem ausländische Mächte wie Großbritannien, Japan, die USA, Frankreich, Italien, China sowie mehr als zehn weitere Staaten intervenierten, immer noch als interne russische Angelegenheit gilt.

Wie der kanadisch-ukrainische Forscher Ivan Katchanovski feststellte:

Die Leugnung des Bürgerkriegs in der Ukraine ist 'Fake News', auch bekannt als klassische Desinformation und Propaganda.

Seine Forschungen zeigten, dass über 94 Prozent der Kämpfer, die während des fünfjährigen Konfliktes zwischen den Separatisten – oder Russland – und der Ukraine als Gefangene ausgetauscht wurden, ukrainische Staatsbürger waren. Was darauf hindeutet, dass der ukrainische Konflikt letztlich in einem größeren Maße eine innere Angelegenheit ist als die meisten europäischen Feindseligkeiten des 20. Jahrhunderts, die als "Bürgerkriege" bezeichnet werden.

Der vierte "Mythos" der Washington Post versucht, die Vorstellung zu widerlegen, dass die Ukraine "hoffnungslos korrupt ist". Nun, das ist schwer zu messen. Der bekannteste Index von Transparency International ist in seinem Urteil über die Ukraine sehr hart. Aber da er auf der "Wahrnehmung von Korruption" und nicht der Erfassung der Korruption selbst basiert, ist Letztere schwer zu quantifizieren, was ihn zu einer ungerechten Messgröße macht. Gleichzeitig sagte der bekannte ukrainische Politiker und Journalist Sergej Leschtschenko – der so etwas wie ein Liebling der westlichen Medien ist – Anfang dieses Jahres gegenüber der BBC, dass Korruption "das größte Problem der Ukraine ist, das gelöst werden muss". Wie es der Zufall so will, war Leschtschenko 2016 selbst in einen Finanzskandal verwickelt.

Jankowicz verweist auf die "Fortschritte" der ukrainischen Regierung bei der Korruptionsbekämpfung und zitiert die Einführung eines "Online-Beschaffungssystems für staatliche Ausschreibungen". Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Russland seit 13 Jahren über die gleiche Einrichtung verfügt und ihre Auswirkungen durchwachsen sind.

Der angesehene Journalist Ben Aris von Business New Europe meinte 2016, dass Versuche, Finanzdelikte in diesem Teil der Welt zu bekämpfen, zum Scheitern verurteilt seien, weil "Korruption das System in Russland und der Ukraine ist" – und er könnte hier nicht ganz falsch liegen.

Interessanterweise hat Anfang dieses Jahres der NATO-treue Atlantic Council zugegeben, wie die Bilanz der Regierung von Petro Poroschenko in Kiew zwischen 2014 und 2019 aussah, dass sie:

  • das korrupte Regierungssystem der Ukraine nicht demontierte oder etwas gegen die Oligarchie unternahm.
  • die Rechtsstaatlichkeit nicht gewahrt hat, indem korrupte Richter, Staatsanwälte oder Polizisten aus ihren Ämtern entfernt und durch unbestechliche Beamte der Justiz und Strafverfolgungsbehörden ersetzt worden wären.
  • reformwillige Minister oder Beamte nicht vor Belästigungen oder Hindernissen durch Oligarchen, korrupte Regierungsbeamte, diebische Politiker und organisierte Kriminalität schützte.
  • es versäumte, eine freie und ungehinderte Presse zu schaffen und zu schützen, indem sie Oligarchen, Kriminelle und mächtige Interessengruppen zwingt, ihre Medienbeteiligungen zu veräußern.
  • es versäumte, die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten, die ihre Sitze und Stimmen "verkaufen", was die Grundlage für die politische Korruption im Land ist, anzustrengen oder zu unterstützen.

Alles in allem eine ziemlich vernichtende Einschätzung, die Jankowicz' Behauptung entgegensteht, dass "der Fortschritt seit der Vertreibung des korrupten Janukowitsch-Regimes im Jahr 2014 unverkennbar ist".

Der letzte der fünf Punkte der Washington Post betrifft die Frage, ob "Joe Biden sich im Interesse seines Sohnes dafür eingesetzt hat, einen Staatsanwalt zu feuern".

Da dies eine sich noch entwickelnde Geschichte ist, werde ich die Behauptungen hier nicht in Frage stellen, um nicht durch mögliche Ereignisse in den kommenden Wochen selbst widerlegt zu werden. Ich beschränke mich also lediglich darauf zu sagen (als meine persönliche Meinung), dass Biden eindeutig eine echte Vorliebe für die Ukraine hat. Und dass er versucht hatte, den zutiefst korrupten Poroschenko zu zwingen, in der ukrainischen Staatsanwaltschaft auszumisten – aus guten Gründen.

Wie auch immer, mir kann sicherlich jeder zustimmen und es als schweren Fehler bezeichnen, dass sein Sohn Hunter bei einem großen Kiewer Gasunternehmen beschäftigt war, und das kurz nach dem Maidan-Umsturz. Das machte keinen guten Eindruck – ebenso wenig dient es als Ausweis von Bidens außenpolitischer Urteilsfähigkeit.

Abschließend möchte ich noch eines klarstellen. Das hier ist kein Angriff auf Nina Jankowicz, die auf mich wie eine anständige Person wirkt (ich folge ihr auf Twitter), selbst wenn sie eindeutig schlecht über die Ukraine informiert ist. Der Fehler liegt hier bei der Washington Post. Denn das Blatt hat es versäumt, selbst elementare Standards zur Überprüfung von Fakten vor der Veröffentlichung einzuhalten. Mir geht es hier darum, diese groben journalistischen Schnitzer zu korrigieren.

Schließlich hat Jankowicz ein Buch mit dem Titel "How to Lose the Information War" ("Wie man den Informationskrieg verliert") geschrieben. Es soll im kommenden Jahr erscheinen. Nun, meiner Meinung nach verliert man einen Informationskrieg, indem man Unwahrheiten verkauft. Denn früher oder später kommt die Wahrheit heraus. Ehrlich währt am Längsten. Genauigkeit und Wahrhaftigkeit sind immer noch am besten, wenn man die Ukraine, Russland oder welches Thema auch immer behandelt. Gewiss, bei alledem ist die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus leider oftmals sehr schmal und verschwommen.

Bryan MacDonald ist ein irischer Journalist mit Sitz in Russland.

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