Meinung

Lieber zuhören und nachdenken als verdammen und strafen – Was bringt die europäische Zensur?

Immer noch interessieren sich zu viele Deutsche für alternative Medien, also "böse Feindsender", meinen deutsche Politiker – und wünschen sich mehr Zensur. Und auch die EU sucht nach neuen Mitteln, um unerwünschte Informationen fernzuhalten. Damit handeln sie wieder einmal sogar gegen die eigenen Interessen.
Lieber zuhören und nachdenken als verdammen und strafen – Was bringt die europäische Zensur?Quelle: Gettyimages.ru © Spiderstock / E+

Von Dagmar Henn

Wir wollen hier gar nicht erst von Meinungsfreiheit anfangen – oder von der Erkenntnis von Wahrheit, die die Bereitschaft voraussetzt, Annahmen auch zu überprüfen. Auch nicht davon, dass es die ungeheure Menge des Verschwiegenen ist, die erst den Platz für die so gefürchteten alternativen Medien geschaffen hat. Oder davon, wie absurd und geradezu abergläubisch die Vorstellung ist, Informationen oder Reizworte könnten ganze Systeme "delegitimieren", wenn es nicht daneben die wirklichen Widersprüche in der realen Welt gäbe.

Nein, eigentlich muss man sich mit etwas ganz anderem auseinandersetzen, weil die Kaste der herrschenden Politiker in Deutschland nach wie vor nicht begreift, was die Stunde geschlagen hat. Blicken wir in die Global Times vom 12. Dezember:

"Die USA und einige andere westliche Länder wurden 'Bankrotteure' in der internationalen Gemeinschaft. Sie wagen es, ihre Versprechen zu brechen, weil die westliche Hegemonie mit den USA in der Mitte sie schützt. Washington hat schon viele andere westliche Länder gekapert, sich solch einer Hegemonie anzuschließen, und schafft und erhält eine verzerrte internationale Ordnung. Es lässt sich vorhersehen, dass einige, von den USA geführte westliche Länder weiterhin die sogenannten Werte als Entschuldigung nutzen werden, um ihre kollektive Hegemonie zu verteidigen und andere unter eine internationale Regel und Ordnung zu ihren Gunsten zu zwingen. Solange eine solche Dominanz besteht, wird die Welt weiter ein Opfer der Machtpolitik sein, und kein Ort voller Gerechtigkeit und Fairness."

Das ist die – halboffizielle – chinesische Reaktion auf Angela Merkels Eingeständnis, dass die Minsker Vereinbarungen jahrelang nur der Täuschung Russlands dienten. In vielen weiteren Ländern sieht die Reaktion darauf nicht wesentlich anders aus. Merkels Sätze waren ein öffentliches Geständnis, wer den Krieg in der Ukraine wirklich herbeigezogen hat. Und genau so wird das außerhalb des Westens auch verstanden.

Auch andere Dinge – wie etwa die Sprengung der Nord Stream Pipelines – sind außerhalb der westlichen Informationsblase kein Rätsel. Und selbst wenn man sich einreden kann, es wäre eine funktionierende Strategie, um die eigene Überlegenheit noch ein wenig zu verlängern, wenn an allen nur denkbaren Orten rund um den Planeten gezündelt wird, vom Kosovo bis Peru. Das führt nur dazu, den Brandstifter für alle kenntlich zu machen.

Wenn große Umbrüche stattfinden – und das, was letzte Woche zwischen China und Saudi-Arabien geschehen ist, war ein großer Umbruch –, dann nützt es nichts, den Kopf unter die Decke zu stecken, sich die Ohren zuzuhalten und ganz laut die Sprüche von der "regelbasierten Weltordnung" aufzusagen. Es ändert nichts an Entwicklungen, die nicht mehr aufzuhalten sind. Und es trägt nicht dazu bei, einen Platz in dieser neuen Welt zu finden.

Alle Vorhersagen, ohne russisches Erdgas werde es ökonomische Probleme geben, wurden im Frühjahr als "russische Propaganda" zurückgewiesen. Jetzt ist es "russische Propaganda", wenn man angesichts tatsächlich drohender Blackouts, verfinsterter Städte und kalter Büroräume daran erinnert, dass es die von der EU beschlossenen Sanktionen sind, die diesen Zustand ausgelöst haben. Doch das Etikett "russische Propaganda" macht diese Wahrheit nicht weniger wahr. Es dient nur dazu, denjenigen am Erkennen der Wahrheit zu hindern, der im eigenen Interesse dringend auf diese Wahrheit angewiesen wäre.

Es ist nicht allzu schwer, eine Bilanz zu ziehen, welche Berichterstattung wahrhaftiger war. Es genügt, das vergangene Jahr in Augenschein zu nehmen. Aber in Krisenzeiten ist der Umgang mit der Wahrheit immer schwierig. Insofern ist die Ablehnung, die einem Medium wie RT gegenüber exerziert wird, von der gleichen Art wie die, auf die ehrliche Berichte von Nachrichtendiensten aus dem eigenen Land stoßen. Nicht umsonst konnte es auch im Märchen nur ein Kind sein, das den Kaiser in seinen "neuen Kleidern" einfach nackt nennen konnte.

Die neoliberale Politik ist am Ende. Sie hat die westlichen Gesellschaften ökonomisch wie moralisch zerfressen, um den Milliardären ihre Macht zu erhalten. Aber man kann es gerade in der Ukraine (nein, eigentlich in Russland, denn momentan finden alle Kämpfe auf russischem Gebiet statt) in Granaten abzählen, dass diese Macht nur noch auf tönernen Füßen steht. Daran werden noch so viele Beschwörungen transatlantischer Verbundenheit nichts ändern, und die Arbeit von hunderten sogenannter NGOs wird den moralischen Bankrott nicht verdecken können.

Es gibt einen Weg ins Nichts und einen Weg in die Zukunft. Der Weg ins Nichts wäre das Ergebnis einer noch hemmungsloseren Ausweitung der gegenwärtigen Auseinandersetzung, der Griff nach nuklearen Waffen, um die so sichtbare Niederlage abzuwenden. Dass der Westen dies tun könnte, ist die Sorge des größeren, des nichtwestlichen Teils auf dieser Welt. Der einzige Weg in die Zukunft setzt voraus, die eigene Niederlage einzugestehen und Möglichkeiten zu suchen und zu finden, mit anderen auf Augenhöhe umzugehen. Das müsste sich allerdings schon daran beweisen, all die Ermahnungen und bisherigen Erpressungen zu unterlassen, oder aber sich selbst auch Entsprechendes vom Botschafter von, sagen wir einmal, Burkina Faso zu Herzen zu nehmen.

Die EU wünscht sich in eine Höhle, in der sie immer nur die eigene Stimme und deren Widerhall vernehmen muss, in die die Umbrüche auf dieser Welt nicht eindringen. Fast die gesamte deutsche Politik- und Medienlandschaft hat sich darauf eingeschworen. Wenn die Mauer, mit der die Höhle geschlossen wird, dick genug ist, dringt kein störender Laut mehr hinein.

Der Weg in die Zukunft ist kein leichter. Weil es eine Sache ist, der Bevölkerung "Willkommenskultur" zu verordnen, aber eine ganz andere Sache, die Völker der Welt tatsächlich nicht länger wie ein Kolonialherr zu behandeln. Aber solange es diese störenden Stimmen gibt, die die erstrebte Abschottung mit diesen nervigen Wahrheiten durchbrechen, besteht Hoffnung. Was all die Überlegungen, wie man RT DE und weitere Störenfriede aus der westlichen Blase verbannen könnte, nicht aufnehmen, ist, was es bedeuten würde, wenn diese Bemühungen tatsächlich ein Ende fänden.

Denn sogar, wenn fast alle diplomatischen Gepflogenheiten vom Westen in den vergangenen Jahren erfolgreich abgestreift wurden und wenn das Vertrauen in den Westen, wie das obige Zitat belegt, mittlerweile auf null geschrumpft ist: Solange der Versuch fortgesetzt wird, die Menschen innerhalb dieser Blase zu erreichen, ist die Hoffnung nicht endgültig aufgegeben. Das bedeutet auch, wenn man es in die harten Worte der materiellen Wirklichkeit übersetzt, dass der Niedergang, der aus Überheblichkeit eingeleitet wurde, nicht endgültig sein muss.

Sollte es aber dazu kommen, dass Russland und andere Länder selbst diese Bemühungen einstellen, hieße das, dass die Staaten des Westens samt ihrer Bevölkerungen aufgegeben werden. Dass der gesamte Westen hinter seiner selbst errichteten Ummauerung verrotten kann. Das ist der Zustand, auf den all die Zensurbemühungen, die Sanktionierungen von Journalisten, all die immer weiter überdrehten Maßnahmen hinarbeiten, ohne zu erkennen, dass das, was sie anstreben, nicht die Milliarden außerhalb dieser Mauer verdammen kann, sondern die eigenen Millionen innerhalb.

Inzwischen wird in Deutschland ernsthaft debattiert, ob nicht auch jede wissenschaftlich-kulturelle Kommunikation mit Russland eingestellt werden sollte. Es erfordert nicht viel Fantasie, Gleiches für den baldigen Umgang mit China vorherzusagen. Das Ergebnis wäre im günstigsten Falle ein geistiger Stillstand hierzulande. Da aber die ökonomischen Perspektiven mit "schlecht" noch beschönigt wären, wird es nicht beim Stillstand bleiben. Ein erfolgreich abgeschotteter Westen wäre auf dem Weg in neue dunkle Jahrhunderte; würde zum abgelegenen rückständigen Anhängsel, in dem die Produktivität weit ins vergangene Jahrtausend zurückfällt, während der Rest der Menschheit zu den Sternen fliegt.

Noch vor dreißig Jahren waren die Afrikaner, die sich auf den Weg nach Europa machten – gleich, auf welche Art und Weise –, die am besten gebildeten. Und sie wollten meist an europäische Universitäten, auch wenn das vielen nicht gelang. Wenn heute die Analphabeten nach Europa kommen, liegt das nicht daran, dass der Bildungsstand in afrikanischen Ländern gesunken wäre. Aber die Gebildeten haben längst ein anderes Ziel. Sie gehen nach China. Keine hiesige Willkommenskultur wird daran noch etwas ändern.

Deutschland, Europa und der ganze Westen sind dabei, sich selbst abzuhängen. Jede Information, die diesen Wahn durchbrechen könnte, ist eine Hilfestellung. Nur, wenn bis in die Köpfe noch vordringen kann, wie der Rest der Welt denkt, fühlt und handelt, ist es möglich, noch umzusteuern. Dabei ist es ganz gleich, ob das nun von oben oder von unten geschieht. Zuzuhören und nachzudenken wäre weit eher im deutschen und europäischen Interesse, als abzuschalten, zu verdammen und zu strafen.

Denn eines ist klar: auch wenn es in klassischen Tragödien die Hybris ist, die den Sturz des Helden einleitet, heißt das noch lange nicht, dass jeder, der über seine Überheblichkeit stürzt, ein tragischer Held ist. Weit öfter ist er nur ein Narr.

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