Meinung

Wie die EU ihre Bürger unter den Folgen einer gescheiterten Russland-Politik leiden lässt

Westliche Staats- und Regierungschefs werfen Russland vor, Gas als Waffe einzusetzen. Aber in Wirklichkeit waren es ihre eigenen, gegen Russland verhängten Sanktionen, durch die diese akute Krise ausgelöst wurde. Der Westen könnte diese Krise umgehend beenden, indem er die Sanktionen aufhebt.
Wie die EU ihre Bürger unter den Folgen einer gescheiterten Russland-Politik leiden lässtQuelle: Sputnik © Grigory Sysoev/Sputnik

von Rachel Marsden

In einem Interview zum französischen Nationalfeiertag forderte der französische Präsident Emmanuel Macron seine Bürger auf, "sich auf ein Szenario vorzubereiten, in dem wir vollständig auf russisches Gas verzichten müssen". Gleichzeitig beschuldigte Macron Moskau, Energie als "Kriegswaffe" einzusetzen, und wiederholte damit die Tatsachenverdrehung, die von einer Führungskaste der Europäischen Union ausgeht, mit der die wahren Gründe verschleiert werden sollen, warum die Union mit einer Energieknappheit konfrontiert ist, die zudem die Lebenshaltungskosten in die Höhe treibt.

Diese Krise ist völlig selbstverschuldet

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beschuldigte Russland Ende April der "Energie-Erpressung" und verwies auf die Ankündigung des staatlichen Gasriesen Gazprom, die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien einzustellen, weil diese Länder nicht bereit waren, die Lieferungen in Rubel zu bezahlen. Was von der Leyen – und nun auch Macron – praktischerweise verschwiegen hat, war, dass die antirussischen Sanktionen der EU, die zu Beginn des Ukraine-Konflikts, reflexartig und ideologisch getrieben, verhängt wurden, die eigentliche Ursache sind.

Der Westen ging schnell in die Strategie über, verschiedene Bereiche des russischen Finanzsystems, einschließlich der Banken und Devisenreserven, ins Visier zu nehmen und zu sanktionieren, indem man Russland vom globalen Transaktionssystem SWIFT abkoppelte – und nahm sich dann die Frechheit heraus, sich darüber zu beschweren, dass Moskau die Zahlungen für seine Gas-Exporte in der eigenen Währung verlangt, um so den Aufwand abzumildern, sich in einem System bewegen zu müssen, von dem es effektiv ausgeschlossen wurde. "Exportiert ruhig euer Gas, aber viel Glück beim Versuch, dafür bezahlt zu werden", ist kaum eine vernünftige Erwartungshaltung.

Es war nicht der russische Präsident Wladimir Putin, der die EU aufforderte, den Import von russischem Gas einzustellen. Vielmehr war es sein ukrainischer Amtskollege Wladimir Selenskij, der immer wieder auf westliche Sanktionen gegen russische fossile Brennstoffe drängte. Und der Westen war nur zu glücklich, ihn vorbehaltlos und zum Nachteil seiner eigenen Bürger, dahingehend zu befriedigen.

Anfang Juli ermahnte Selenskij sogar Kanada, nachdem es sich bereit erklärt hatte, revidierte Turbinen zum Wiedereinbau in die Gaspipeline Nord Stream 1, die Deutschland mit Gas versorgt, an Russland zurückzugeben und forderte Ottawa auf, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Kanada stand vor dem Dilemma, gegen die eigenen antirussischen Sanktionen zu verstoßen, wenn es diese kritische Infrastruktur freigeben sollte. Diese Pipeline ist für die Industrie der Europäischen Union dermaßen wichtig, dass die Staatschefs der Union selbst wegen einer seit langem angekündigten Wartungsabschaltung im Kreis ausflippten. Aber weshalb sollte man sich Sorgen darüber machen, Russland könne den Gashahn nach der Wartung nicht wieder aufdrehen, wenn man immer wieder beteuert hat, dass man "für die Ukraine" gerne auf russisches Gas verzichten will?

Aber selbst in seiner Begründung für die Rückgabe der Turbinen bemühte der kanadische Premierminister Justin Trudeau dieselbe lächerliche Propaganda des westlichen Establishments über Russlands Verwendung von "Gas als Waffe", während es in Wirklichkeit die Sanktionen des Westens sind, die dieses Energiechaos angerichtet und all diese Dramen verursacht haben.

"Wir haben gesehen, dass Russland ständig versucht, Energie als Waffe einzusetzen, um eine Spaltung innerhalb der Verbündeten herbeizuführen", sagte Trudeau. Wenn also Kanada jetzt nicht gegen seine eigenen Sanktionen verstößt und die Turbinen nicht freigibt, dann gewinnt Putin. Solche rhetorische Gymnastik auf olympischem Niveau, die mittlerweile von westlichen Staatschefs gefordert ist, um ihre eigenen gescheiterten Sanktionen zu rechtfertigen, steht gleich an zweiter Stelle hinter den jüngsten argumentativen Kapriolen inmitten der aktuellen Energiekrise, Atomkraftwerke wieder hochzufahren und diese neu als "grün" zu deklarieren.

Die Staats- und Regierungschefs der EU fordern ein Ende der russischen Energieimporte und führen ihre Entscheidung, ihre eigene Gasversorgung zu sanktionieren, als Grund an, um den Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Aber anstatt die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass sie ihre eigenen Segel angezündet haben und jetzt mitten im Ozean treiben, warten sie jetzt auf die Manifestation ihrer Fantasien für den Übergang zu erneuerbaren Energien und geben Russland die Schuld für ihre eigene Kurzsichtigkeit und versuchen zudem, die Sache so zu drehen, als sei alles von Moskau orchestriert.

Russland verkauft seine Energie nur allzu gerne an jeden, der sie kaufen möchte, und eine Aufhebung der EU-Sanktionen würde die aktuelle Energiekrise sofort beenden. Aber das hieße gleichzeitig, eine verfehlte Politik einzugestehen. Stattdessen wird uns gesagt, dass Putin an allem schuld ist, aber auch, dass der beste Weg, Wladimir Putin "den Mittelfinger zu zeigen", darin besteht, kurz und kalt zu duschen und die Straßenbeleuchtung zu dimmen, so wie Macron es kürzlich vorgeschlagen hat.

Beim Versuch, ihr eigenes Versagen mit ihrer lächerlichen Propaganda zu kaschieren, halten westliche Staats- und Regierungschefs ihre Bürger nicht nur für leichtgläubige Dummköpfe, sondern sie nehmen in ihrem hoffnungslosen Versuch, Russland zu isolieren, die gestiegenen Lebenshaltungskosten der Durchschnittsbürger als wirtschaftlichen Kollateralschaden in Kauf. Sie sind in ihrer ideologisch isolierten Elite-Blase davon überzeugt, dass sie damit die ganze Welt repräsentieren. Aber tatsächlich machen sie sich nur etwas vor.

Selbst der Chefdiplomat der EU, Josep Borrell, musste kürzlich beim G20-Gipfel ein böses Erwachen zugeben. "Die G7 und gleichgesinnte Länder sind sich darin einig, Russland zu verurteilen und zu sanktionieren und zu versuchen, das Regime zur Rechenschaft zu ziehen", schrieb Borrell in einer Erklärung auf der Webseite der EU. "Aber andere Länder, und wir können hier von der Mehrheit des 'globalen Südens' sprechen, nehmen oft eine andere Perspektive ein."

Doch dann verspielte Borrell den Ball. "Der globale Kampf der Narrative ist in vollem Gange und im Moment gewinnen wir nicht", schrieb er. "Als EU müssen wir uns weiterhin engagieren, um russische Lügen und Kriegspropaganda zu widerlegen." Aber wer geht nun wirklich mit Propaganda hausieren? Einerseits hat die EU versucht, die Auswirkungen ihrer eigenen, unverantwortlichen und verheerenden Sanktionen auf ihre eigenen Volkswirtschaften und Bürger so darzustellen, als hätte Putin seine Hände im Spiel, während gleichzeitig versucht wird, die Bürger im Westen davon zu überzeugen, dass ihr Leiden eine Art Kriegsanstrengung ist, mit denen man Russland schadet.

In Wirklichkeit kann sich Russland jedoch dem Rest der Welt zuwenden und den Westen mit seinen eigenen kostspieligen Wahnvorstellungen einfach links liegen lassen. Dieser wird vielleicht demnächst herausfinden, ob er mit seiner moralischer Überlegenheit und mit dem Setzen von Tugendsignalen im kommenden Winter das Haus heizen oder die Kinder ernähren kann.

Übersetzt aus dem Englischen.

Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite finden man unter rachelmarsden.com.

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