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USA und die Hisbollah: Im Krieg zwischen Israel und der Hamas verfolgen sie dieselben Ziele

Die gleichzeitig geäußerten Bemerkungen vom Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, und von US-Außenminister Antony Blinken zeigen, dass beide Seiten die Eskalationsdynamik im Nahen Osten verstanden haben. Beide Seiten haben auch ein Modell der Konfliktbewältigung.
USA und die Hisbollah: Im Krieg zwischen Israel und der Hamas verfolgen sie dieselben ZieleQuelle: AFP © Ahmad Al-Rubaye

Von Scott Ritter

Der Anführer der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hielt vergangenen Freitag eine mit Spannung erwartete Ansprache, in der er den Ansatz seiner Organisation im anhaltenden Konflikt zwischen der Hamas und Israel in Gaza darlegte. Zur selben Zeit, als Nasrallah sprach, hielt US-Außenminister Antony Blinken eine Pressekonferenz und beantwortete Fragen der Presse zum Konflikt in Gaza und der daraus resultierenden humanitären Krise, von denen die Palästinenser dort erfasst wurden.

Im Vorfeld der Rede von Nasrallah, hatte die Hisbollah mehrere Videos veröffentlicht, die darauf hindeuteten, dass in seiner Ansprache etwas Bedeutsames gesagt werden würde. Viele Beobachter, erzürnt über das anhaltende Abschlachten unschuldiger palästinensischer Zivilisten – darunter unzählige Kinder – durch die willkürliche Bombardierung von Gaza durch die israelische Luftwaffe, erwarteten, dass dies der Moment sein wird, in dem Nasrallah die Wucht des Hisbollah-Widerstands entfesseln und Rache an der israelischen Nation verüben würde, die sich bereits viel zu lange schon außerhalb des Rahmens des Völkerrechts bewegt.

Andere Beobachter hingegen erwarteten, dass Nasrallah der Situation nicht gewachsen sein würde und dem palästinensischen Volk, dessen Sache er und seine Organisation angeblich vertritt und die dringend eine zweite Front benötigen, nichts weiter als leere Plattitüden anbieten wird.

Blinkens Äußerungen hingegen waren nicht im Voraus vorbereitet, sondern ein Nebenprodukt einer diplomatischen Intervention der USA, die darauf abzielte, einem möglichen Vorgehen der Hisbollah zuvorzukommen. Die Tatsache, dass Blinken und Nasrallah ihre Ausführungen gleichzeitig abhielten, war kein Zufall – Blinken versuchte eindeutig, dem Hisbollah-Anführer die Aufmerksamkeit zu stehlen.

Aber diese Gleichzeitigkeit signalisierte noch etwas anderes: dass die von jeder Seite verkündete Botschaft nicht vom Inhalt der jeweils anderen abhängig war. Die Ansprache von Nasrallah war bereits in Stein gemeißelt und wurde tatsächlich nicht live, sondern als Aufzeichnung verbreitet. Dies deutet darauf hin, dass es sich bei dieser Ansprache um eine sorgfältig konstruierte Dramaturgie gehandelt hat.

Oberflächlich betrachtet scheinen Ton und Inhalt dieser konkurrierenden Äußerungen auf gegenseitig unvereinbare Ziele hinzuweisen. Nasrallah sagte, das Ziel der Hisbollah bestehe darin, "die Aggression gegen Gaza zu stoppen und sicherzustellen, dass die Hamas den Sieg gegen Israel erringt". Um dies zu unterstützen, würden seine Truppen einen Teil der israelischen Streitkräfte mit Scharmützeln an der libanesisch-israelischen Grenze binden. Blinken seinerseits warnte sowohl die Hisbollah als auch den Iran davor, "die Situation auszunutzen und eine zweite Front zu eröffnen".

Wenn man jedoch genauer hinschaut, ist es eine Tatsache, dass sowohl Nasrallah als auch Blinken aktiv versucht haben, eine Eskalation des Konflikts zwischen der Hamas und Israel zu verhindern. Nicht durch einen Rückzug von ihren jeweiligen Positionen, die unverrückbar sind, sondern durch die Umsetzung eines sorgfältig gesteuerten Prozesses des Eskalationsmanagements. Dieser würde jeder Seite ermöglichen, ausreichende Ventile zu finden, um dem durch den Gaza-Konflikt hervorgerufenen Zorn den Druck zu nehmen, und gleichzeitig eine überstürzte Eskalation der Gewalt oder eine geografische Ausweitung der Konfliktzone zu vermeiden.

Kurz gesagt, sowohl die USA als auch die Hisbollah haben ein Modell der Konfliktbewältigung. Selbst wenn sich diese Realität für diejenigen auf beiden Seiten dieses Konflikts, die einen entscheidenden Sieg anstreben, als frustrierend erweisen könnte, ist diese Realität der einzig verantwortungsvolle Weg, der eingeschlagen werden kann, um zu verhindern, dass sich ein lokaler Konflikt in einen regionalen Krieg ausweitet, der globale Auswirkungen haben könnte.

Wenn man die Äußerungen von Blinken und Nasrallah entschlüsselt, könnte der Gelegenheitsbeobachter geneigt sein, den wenig entscheidenden Inhalt äußerst kritisch zu beurteilen. Eine sorgfältige Analyse der von beiden Männern verwendeten Sprache zeigt jedoch, dass sich jeder auf seine Weise der Komplexität der vorliegenden Probleme und der unbedingten Notwendigkeit bewusst sind, den Druck zu bewältigen, der durch die Emotionen aller Beteiligten erzeugt wird, damit diese Krise begrenzt bleibt.

Allerdings kann man sich der Realität nicht entziehen, dass es am Ende des Tages keine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung geben kann. Israel strebt die Zerstörung der Hamas als militärische und politische Einheit an. Die Hamas strebt nach einem palästinensischen Staat, der nach ihren Vorstellungen errichtet wird. Diese beiden Visionen sind miteinander unvereinbar. Beide Parteien werden versuchen, die Eskalation so zu manipulieren, dass das jeweils gewünschte Ergebnis am besten gefördert wird. Der Schlüssel für die anderen Parteien besteht darin, zu verhindern, dass diese inhärente Unvereinbarkeit außer Kontrolle gerät und sowohl Niederlagen als Siege zu handhaben.

Es ist dieser Aspekt im Prozess des Eskalationsmanagements, bei dem die Hamas im Vorteil ist. Wie Nasrallah in seiner Ansprache immer wieder betonte, ist der wichtigste Aspekt des antiisraelischen Widerstands das ausharren. Israel befindet sich in einer zunehmend unhaltbaren Situation, in der die angewandten politischen und militärischen Methoden selbst von seinen Unterstützern zunehmend abgelehnt werden. Die Spannungen zwischen den Positionen der USA und Israel wurden in Blinkens Äußerungen deutlich. Diese Spannungen werden nur noch mehr zunehmen, wenn der Konflikt zwischen Israel und der Hamas auf seinem derzeitigen Kurs bleibt. Die einzige Chance, die Israel hat, dieses Muster zu brechen, besteht darin, dass der Konflikt eskaliert und die USA dann gezwungen sind, ihr Modell der Konfliktlösung neu zu bewerten, bei der größere geopolitische Bedenken einfließen, wie zum Beispiel ein Krieg mit dem Iran. Blinken hat jedoch deutlich gemacht, dass die Regierung von Joe Biden ein solches Ergebnis nicht anstrebt. Auch Hassan Nasrallah nicht.

In diesem Licht muss man die Gesamtheit der Ansprache von Nasrallah und die Komplexität seiner Argumentation untersuchen. Er ließ keinen einzigen Aspekt des Konflikts zwischen der Hamas und Israel unberücksichtigt. Darüber hinaus erörterte er nicht nur jeden dieser Sachverhalte einzeln, sondern auch im Hinblick auf ihren Gesamtzusammenhang. Die Ansprache von Nasrallah verkörperte, wie man mit einer komplexen Eskalationsdynamik umgeht und das gewünschte Ergebnis erzielt.

Es besteht kein Zweifel: Die Hamas ist auf dem Weg zum Sieg, wenn auch nicht zu der Art Sieg, den sich ein Gelegenheitsbeobachter des Konflikts als Sieg vorstellen würde. Obwohl die endgültige Geschichte dieses Konflikts zwischen der Hamas und Israel noch nicht geschrieben ist, kann man jetzt schon sicher sein, dass die Ansprache von Hassan Nasrallah als einer der entscheidenden Momente bei der Gestaltung des Konflikts festgehalten wird. Die verschiedenen Parteien sollten sich jetzt auf die begrenzten, wenn auch zugegebenermaßen komplexen Fragen im Zusammenhang mit den von der Hamas definierten Kernthemen konzentrieren – einem Gefangenenaustausch, der Religionsfreiheit in der Al-Aqsa-Moschee und der palästinensischen Eigenstaatlichkeit. Diese begrenzten Ziele und nicht die Zerstörung Israels sind die wahrscheinlichen Ergebnisse dieses Konflikts. Und dafür können wir uns alle bei Hassan Nasrallah bedanken.

Übersetzt aus dem Englischen.

Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie und Autor. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen. Man kann ihm auf Telegram und auf X unter @RealScottRitter folgen.

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