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Die Uhr für den Showdown zwischen China und den USA tickt

Es wäre verfehlt zu glauben, die Geduld der chinesischen Behörden, den Amerikanern einen Affront entgegenzusetzen, sei ein Zeichen von Schwäche. Nur eine Frage ist wichtig, und zwar: Wann und unter welchen Bedingungen wird China bereit sein, den Amerikanern eine entschiedene Herausforderung zu bieten?
Die Uhr für den Showdown zwischen China und den USA ticktQuelle: www.globallookpress.com © Kurt Amthor/http://imagebroker.com/#/search/

Von Timofei Bordatschow

Die beiden Akteure der zweitwichtigsten Konfrontation der Welt sind derzeit auf Kollisionskurs und denken nur daran, die bestmöglichen Bedingungen für sich zu schaffen, um zu handeln. In diesem Sinne ähneln die Beziehungen zwischen den USA und China vielmehr der klassischen Vorbereitung eines Zusammenstoßes von Mächten: Jegliche friedenserhaltenden Maßnahmen bedeuten nur ein Hinauszögern des Krieges, um eine standfeste Stellung einnehmen zu können. Jedes Gipfeltreffen und jede Verhandlung der Regierungsvertreter sind nur noch im Kontext eines bevorstehenden Kampfes zu verstehen.

Die Außenpolitik Pekings und Washingtons gleicht den Manövern zweier Armeen am Vorabend einer großen Schlacht. Die Heerführer wissen, dass sie gezwungen sind, sich im Kampf zu messen. Doch sie manövrieren, denn jeder von ihnen hegt den Wunsch, eine möglichst günstige Stellung auf dem Hügel einzunehmen, und das Gegenüber im Tal vorzufinden. Sie achten auf den Stand der Sonne und warten darauf, dass die Augen des Gegners geblendet sind. Sie warten darauf, dass sich der Wind in der internationalen Politik zu ihren Gunsten dreht.

Zwischen den beiden Staaten ist ein Kompromiss unmöglich – diese Phase der Beziehungen haben China und die Vereinigten Staaten vor einem Jahrzehnt hinter sich gelassen. Allerdings war die Konfrontation noch vor kurzem, vor der Coronavirus-Pandemie, statisch. Beide Mächte warteten ab und waren nicht bereit für einen Kampf. So sehen das Wesen und der Inhalt ihrer Beziehungen aus.

Seit zwei oder drei Jahren haben sich die Dinge geändert: Die Kräfte der beiden Staaten sind in Bewegung geraten, und der Countdown hat begonnen. Wie lange dieses Manöver andauern wird, lässt sich nicht sagen. Und vor allem ist es unmöglich, jetzt schon vorherzusagen, wann der erste Schuss von einer der beiden Seiten fallen wird. Aus Erfahrung weiß Russland, wie schwierig es ist, in Fragen von Krieg und Frieden die Grenze zwischen "zu früh" und "zu spät" zu ziehen.

Das Einzige, worauf es nicht unklug wäre zu vertrauen, ist das Verständnis davon, wo die unsichtbare Grenze verläuft, deren Überschreitung eine Seite dazu zwingen würde, das Feuer zu eröffnen. Oder aber, welche Konstellation der offensiven Optionen für Washington oder Peking ausreichend erscheint, um mit diesem entschlossenen Schritt zu beginnen. Es besteht indes kein Zweifel, dass niemand mehr das Signal zur "Entwarnung" geben wird.

Höchstwahrscheinlich wird der Grund der direkten Konfrontation, natürlich, die Insel Taiwan sein. Dieses chinesische Hoheitsgebiet untersteht einer selbständigen Verwaltung, der die Vereinigten Staaten zugesagt haben, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln beizustehen. Washington provoziert China auf jede erdenkliche Weise und ist bereit, riskante Situationen entstehen zu lassen. Peking hingegen ist zurückhaltender, schont seine Kräfte und lässt Beobachter frustriert aufseufzen, wenn eine weitere Injurie der Amerikaner ausschließlich Drohgebärden hervorruft. Gerade erst neulich haben wir beobachten können, wie im August 2022 sich Peking mit einer groben Antwort zurückhielt, als die Vorsitzende des Repräsentantenhauses der USA Taiwan einen provokativen Besuch abstattete.

Deshalb wird jeder entschlossene Schritt Chinas als Zeichen eines Umbruchs in seinem Verhalten wahrgenommen – irgendwann muss doch ein solch mächtiger Staat der Provokationen müde werden? In Russland betrachtet man die Manöver Pekings mit gemischten Gefühlen: Viele glauben wahrscheinlich sogar, man müsse sich an der chinesischen Zurückhaltung ein Beispiel nehmen.

Die jüngste Episode mit der dreisten Wanderung eines Ballons chinesischer Meteorologen über amerikanisches Hoheitsgebiet lässt vermuten, dass die chinesische Politik komplexer ist, als es scheint. Die Regierung Chinas kann sehr wohl entschlossen sein und für die USA sehr schmerzhafte Situationen herbeiführen. Ein Exempel, wie empfindlich der verpasste Affront für Washington war, ist die hysterische Reaktion der amerikanischen Medien und Politiker sowie das Spektakel einer Ballonjagd mithilfe eines Geschwaders amerikanischer Kampfjets.

Mit anderen Worten, China hat mit der Entsendung eines meteorologischen Aerostats in den US-Luftraum mehrere Aufgaben erfüllt. Erstens hat es der Welt gezeigt, dass China zu dreisten Handlungen fähig ist und unvorhersehbare Schritte gegen die empfindlichsten Punkte des Gegners unternehmen kann. Für die Vereinigten Staaten geht es um das System der Luftverteidigung seines Territoriums, die sich laut Experten wegen der Beschäftigung mit kolonialen Expeditionen nur mittelmäßig entwickelt hat. Zweitens wurden die Amerikaner dazu gezwungen nervös und hastig zu reagieren, das heißt in einer schwierigen Situation "das Gesicht zu verlieren". Und schließlich wurde gezeigt, dass der Besuch des amerikanischen Außenministers, der wegen des "Ballon-Zwischenfalls" verschoben werden musste, für China völlig bedeutungslos war.

Allerdings ist ein solches Verhalten kaum als ein Übergang Chinas zu einer neuen Qualität in seiner Politik im Rahmen des Konflikts mit den USA zu werten. In erster Linie, weil diese Politik bereits zutiefst unfreundlich ist und darauf abzielt, die amerikanischen Handlungsmöglichkeiten so weit wie möglich einzuschränken. China hat es nicht nötig, sich jetzt für einen Konflikt mit den Amerikanern zu entscheiden. Denn dies geschah bereits zu jenem Zeitpunkt, als der chinesische Präsident Xi Jinping jegliche Versuche der USA, sich in die inneren Angelegenheiten des Reichs der Mitte einzumischen, entschieden zurückwies. Wir wissen noch, wie uns die westliche Propaganda vor einigen Jahren versicherte, dass ein Staatsoberhaupt in China nicht länger als zwei Amtszeiten regieren könne. Was sich letztlich als Fiktion herausstellte, eine Fantasie, die durch das praktische Handeln der chinesischen Behörden widerlegt wurde.

Man sollte daran denken, dass gerade China diejenige Macht ist, die in ihrer Geschichte der Außenpolitik die Erfahrung einer direkten militärischen Konfrontation mit den Amerikanern hat. Im Koreakrieg (1950–1953) waren es Zehntausende chinesischer Freiwilliger, die Nordkorea vor der Niederlage bewahrten und das amerikanische Expeditionskorps erfolgreich bekämpften. Russland beispielsweise fehlt eine solche Erfahrung – wir hatten noch keine Gelegenheit, den Amerikanern von Angesicht zu Angesicht und im großen Stil in der Schlacht zu begegnen. Gewiss, die Politik der Reformen und der Öffnung seit Mitte der 1970er Jahre hat den Vereinigten Staaten viel Selbstbewusstsein in ihre Fähigkeit gegeben, China "managen" zu können. In Washington glauben selbst jetzt noch viele, dass die Kommunistische Partei Chinas an einem Frieden mit den USA interessiert sei, um das Wirtschaftswachstum im Lande aufrechtzuerhalten.

Doch in den letzten zehn Jahren hat sich vieles, wenn nicht alles, verändert. Die Machtübernahme durch Xi Jinping wurde nach Ansicht von China-Experten zum Wendepunkt, zur Entscheidung Chinas für die Eigenständigkeit, und zum weltweiten Widerstand gegen die Interessen der USA. Während der dreijährigen Coronavirus-Pandemie ist es den chinesischen Behörden gelungen, die Gesellschaft innerhalb des Landes ernsthaft zu konsolidieren. Dauerhafte Lockdowns und Quarantänen haben der Volkswirtschaft schweren Schaden zugefügt. Gleichzeitig wuchs aber der Spielraum für Mobilisierung. Und es wurde klar, wie viele Menschen in China ihre Zukunft mit der US-gesteuerten Globalisierung verbinden. Während die Pandemie ein wirtschaftliches Problem für China mit sich brachte, sieht die Bereitschaft zur Konfrontation mit den Vereinigten Staaten in politischer Hinsicht jetzt deutlich anders aus.

Die Reaktion der USA auf den "Ballon-Zwischenfall" waren Verhandlungen mit Japan über die Stationierung von Mittelstreckenraketen, Marschflugkörpern und Hyperschall-Langstreckenwaffen auf dessen Territorium. Mit dieser Entscheidung werden alle positiven Ergebnisse des Gipfeltreffens zwischen dem US-Präsidenten und dem chinesischen Staatschef auf Bali im November 2022, bezüglich des Friedens zwischen den beiden Staaten, zunichtegemacht. In Washington wird offen darüber gesprochen, dass es sich bei der geplanten Stationierung um eine "Abwehrmaßnahme gegen China" handelt, das, wie der Witz lautet, sein Territorium zu nahe an US-Militärbasen platziert hat.

Daraufhin hat die chinesische Seite ihr Recht auf eine "strategische Antwort" geltend gemacht, um der Bedrohung zu begegnen. Der "Ballon-Zwischenfall" oder die Stationierung neuer US-Waffen in unmittelbarer Nähe zur chinesischen Küste sind keine Anzeichen für einen Wandel in den Beziehungen zwischen diesen Ländern. Sie sind seit langem Gegner. Doch beide Ereignisse sind gleichzeitig ein Zeichen für ein weiteres Manöver ihrer Streitkräfte in Richtung dieser unsichtbaren Linie, nach deren Überschreitung für Washington und Peking nur noch der Kampf bleibt. Und obwohl Russland am wenigsten daran interessiert ist, diesen Krieg ausbrechen zu sehen, sind unsere Möglichkeiten sehr begrenzt, die Geschwindigkeit seines Voranschreitens ernsthaft zu beeinflussen.

Zuerst erschienen bei Wsgljad. Übersetzt aus dem Russischen.

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