Gesellschaft

Flüchtlings- und Klima-Aktivistin Carola Rackete: "Jede Gesellschaft ist strukturell antisemitisch"

Gegenwärtig hält die Linke in Augsburg ihren Bundesparteitag ab. Nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht versucht die Partei, ihr Image zu erneuern. Carola Rackete, die die Linkspartei bei den Wahlen zum EU-Parlament anführen soll, hatte nun schon einmal Gelegenheit zu einem wohlwollenden Interview in der "Zeit".
Flüchtlings- und Klima-Aktivistin Carola Rackete: "Jede Gesellschaft ist strukturell antisemitisch"Quelle: www.globallookpress.com © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Auf dem Bundesparteitag der Linken, der noch bis zum heutigen 19. November in Augsburg tagt, ist die seit 2019 bekannte Flüchtlings- (und seit einer Weile) auch Klima-"Aktivistin" Carola Rackete als Spitzenkandidatin für das EU-Parlament aufgestellt worden. Nachdem durch den Austritt von Sahra Wagenknecht die Partei ihre bekannteste und zugkräftigste Politikerin verloren hatte, wurde, rechtzeitig zur Parteiversammlung in Bayern, das äußere Erscheinungsbild verändert – durch ein neues, schräges Logo.

Rackete wiederum, die – als Nicht-Mitglied – kürzlich erst zu Protokoll gegeben hatte, dass sie nicht kandidiert hätte, wäre Wagenknecht noch in der Partei, erhielt von der Zeit passend zum Augsburger Parteitag die Möglichkeit zu einer ausführlichen Selbstdarstellung. "Weltberühmt" sei sie, so die Zeit, als Kapitänin der "Sea-Watch 3" geworden, als sie im Sommer 2019 Migranten ohne Erlaubnis der italienischen Behörden nach Lampedusa gebracht hatte.

"Strukturell antisemitisch"

Das aktuelle Interview habe Rackete auf eigenen Vorschlag im Berliner Jüdischen Museum führen wollen, um damit ein "politisches Statement" (Zeit) zu verbinden. "Der Holocaust ist für mich ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte," erklärte Rackete dazu. Die Hamburger Wochenzeitung verglich die Flüchtlingsaktivistin mit der "Ikone" Greta Thunberg. Doch nachdem Thunberg vor kurzem bei einer Demonstration in Amsterdam durch Bemerkungen zum aktuellen Gaza-Krieg in Ungnade gefallen war, schloss sich auch Rackete im Gespräch mit der Zeit der Kritik an der schwedischen Klima-Aktivistin an. Thunberg habe sich "nur auf eine Seite" gestellt. Dies sei falsch, denn im Nahostkonflikt gebe es "mindestens zwei Seiten". Daher habe Thunberg der Klimabewegung Schaden zugefügt, und auf die Vorlage der Zeit, ob "Fridays for Future" ein Antisemitismusproblem habe, bekannte Rackete kategorisch:

"Jede Gesellschaft ist strukturell antisemitisch. Und so gibt es auch in der Klimabewegung immer wieder Leute, die etwas sagen, was als antisemitisch ausgelegt wird. Ich verurteile diese Äußerungen."

Rackete erklärte dazu weiter, die "Klimabewegung" habe sich "immer stark auf die Seite von unterdrückten und marginalisierten Gruppen gestellt." Gründe für ihre Aussage, dass jede Gesellschaft strukturell antisemitisch sei, führte Rackete allerdings nicht an. Ihre weiteren Bemerkungen zu der Frage waren denn auch recht abstrakt gehalten.

Der "Nationalismus" von Sahra Wagenknecht

Auf die Lage der Linkspartei und die bevorstehende Auflösung ihrer Bundestagsfraktion angesprochen, erklärte Rackete, jetzt würde der "Grundstein zur Erneuerung" der Partei gelegt:

"Der Austritt von Sahra Wagenknecht ermöglicht uns, eine moderne linke Gerechtigkeitspartei aufzubauen. Jetzt hören wir auf, Menschen gegeneinander auszuspielen."

Sie nehme Wagenknecht "ja durchaus ab", dass sie "ein ernstes Interesse an Menschen in prekären Verhältnissen" habe. Doch im selben Atemzug erhob Rackete den schweren Vorwurf des Nationalismus gegen Wagenknecht:

"Aber sie denkt nationalistisch und bezieht sich nur auf Menschen mit deutschem Pass. Das geht nicht."

Eine Begründung dafür lieferte Rackete freilich nicht (möglicherweise, weil ihr die Bezugnahme auf die – politische – Nation schlicht als "nationalistisch" erscheint).

Dass die Linke ein Interesse daran habe, die "Popularität" von Rackete zu nutzen, sei ihr "klar", gibt die Aktivistin zu: "Damit habe ich kein Problem." Und fährt fort mit einem offenen Bekenntnis: "Früher" habe sie sich "nicht als links bezeichnet", weil sie "damit nicht viel anfangen konnte." Gleichwohl würden sich ihre Positionen nun "sehr stark" mit denjenigen "im Wahlprogramm der Linken" überschneiden.

Immer noch zu viel SED in der Linkspartei

Auf eben diese politische Zuschreibung angesprochen, die sich nun durch ihre Kandidatur für eine Partei mit diesem Namen ergibt, erklärte Carola Rackete:

"Ach, den Namen Die Linke könnten wir von mir aus ändern."

Dazu führte die westdeutsche Aktivistin als Motiv aus:

"Im Ernst: Der Linken würde es helfen, sich noch mal konsequent von ihrer SED-Vergangenheit zu distanzieren und das wirklich aufzuarbeiten. Es gibt immer noch Leute, die das abschreckt. Und ich glaube, wenn es jetzt einen Erneuerungsprozess gibt, könnte der auch mit einer Umbenennung enden."

Die Linkspartei habe sich, so Rackete, die immerhin für den sächsischen (!) Landesverband der Linken kandidiert, "von ihrer Vergangenheit nicht richtig distanziert". Dies habe ihr eine nicht näher bezeichnete "Gruppe" von Leuten erklärt. "Und solange das nicht anders aufgearbeitet wird", sei ein Engagement für die Linkspartei nicht vorstellbar. Doch Rackete wollte offenbar ihre Kandidatur und ein mögliches Mandat in Straßburg nicht an dieser Frage scheitern lassen.

Rechtzeitig vor dem Augsburger Parteitag hatte sich Rackete von ihren Vorstellungen einer Umbenennung der Linkspartei per Twitter/X distanziert, die gerade in den östlichen Landesverbänden der Partei auf Kritik gestoßen waren.

Die 35-jährige Rackete hat, wie sie im Interview berichtet, nie länger als wenige Monate an einem Ort gelebt. Sie habe immer in "Projekten" gearbeitet, mal in Europa, mal in Südamerika, auch auf "Forschungsschiffen im hohen Norden". Sie wohne "meist bei Freunden" und habe noch keine eigene Wohnung gehabt. Die längste Zeit, die sie in den vergangenen Jahren an einem Ort verbracht habe, seien "sieben Monate" gewesen – und zwar ausgerechnet in Russland, wo sie "in einem Nationalpark" einen "Freiwilligendienst absolviert" habe.

Rackete, die Nautik studiert hat ("eher weil ich nicht wusste, was ich wollte"), betrachte sich "zwar als privilegiert", aber nicht als "verwöhntes Mittelstandskind, das die Welt retten will." In ihrer Familie habe es "häufig finanzielle Probleme" gegeben, und ihre Eltern hätten "oft über Geld gestritten." Schließlich sei sie "Ingenieurin geworden", um nach dem Studium Geld zu verdienen.

Ob nun verwöhnt und dem Mittelstand zugehörig oder nicht, privilegiert fühlt Rackete sich heute dennoch, was sie wie folgt begründete: "Die Hautfarbe, welcher Religion man angehört, welchen Pass man hat, all das bedeutet Privilegien."

"No border – no nation"

Zum Thema Migration führte Rackete aus, sie sei gerade in der Lausitz gewesen, und in den Landkreisen Bautzen und Görlitz würden "in Zukunft 50.000 Arbeitskräfte" fehlen. Daher solle man "die Menschen, die kommen, aufnehmen und vernünftig integrieren. Viele sind jung und können Fachkräfte werden". Die "Klimakrise" würde im Übrigen "zu einer großen Migrationsbewegung führen". Darauf solle man sich besser einstellen.

"Wenn es Probleme in den Kommunen gibt, weil es zu wenige Unterkünfte oder auch zu wenige Kita- oder Schulplätze gibt, ist das doch nicht die Schuld der Flüchtlinge."

Eine aktuelle Umfrage, die von der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Auftrag gegeben wurde, spricht von einem Wählerpotenzial der Linken in Höhe von 15 Prozent, was "vor allem im Osten der Republik" nach wie vor "stabil und hoch" sei. Die Prognosen für das "Bündnis Sahra Wagenknecht" erschienen dagegen als "überschätzt", so die Studie.

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