Gesellschaft

Die Schlacht um Borschtsch – Ukraine will Russland berühmte Rote-Bete-Suppe abstreitig machen

Seit Monaten wird in der Ukraine über das "Borschtsch"-Problem diskutiert. Russland habe das kulinarische Wahrzeichen der Ukraine gestohlen. Der Schutz der UNESCO sei nötig. Bislang wird die Schlacht um Borschtsch aber vor allem auf Facebook ausgetragen.
Die Schlacht um Borschtsch – Ukraine will Russland berühmte Rote-Bete-Suppe abstreitig machenQuelle: Gettyimages.ru © iStock / Getty Images Plus / Nataly Hanin

Wer kennt sie nicht, die berühmte Borschtsch-Suppe? Spätestens beim Besuch eines russischen Restaurants wird man mit der Frage konfrontiert, ob man den deftigen Eintopf als Vorspeise bestellen wolle. In den Menüs wird oft angegeben, dass es sich bei Borschtsch um ein ukrainisches Gericht handele. So wirbt das Berliner Restaurant "Matreshka" – noch russischer kann ein Name wohl kaum ausfallen – mit "ukrainischem Borschtsch mit Schweinefleisch".

Andere Restaurants in der deutschen Hauptstadt vertreten jedoch eine andere Sichtweise. So schreibt etwa "Samowar" zu seinem "Zarenfestmahl": "Zur russischen Borschtsch servieren wir Ihnen frisch gebackene Piroschki mit Fleischfüllung." "Odessa Mama" bietet Borschtsch wiederum als "ukrainische Spezialität, Gemüsesuppe mit Kalbfleisch, rote Beete und Knoblauch" an. Bei den meisten Gourmets steht der Name allerdings für sich, und sie verzichten auf Ursprungshinweise. Nicht so das Café "Grüne Lampe", das gleich drei mögliche Herkunftsangaben des Gerichtes nennt. Borschtsch sei

"die beste von unzähligen Varianten der in Russland, Polen und der Ukraine berühmten Rote-Bete-Suppe mit Geflügelfleisch. (...)"

Dieses gastronomische Miteinander änderte sich jedoch, als die russische Regierung auf ihrem Twitter-Account in englischer Sprache ein kulinarisches Rezept veröffentlichte. In diesem hieß es, dass "Borschtsch eines der bekanntesten und beliebtesten Gerichte Russlands" sei.

"Es gibt die Theorie, dass der Name 'Borschtsch' vom russischen borschevik (Bärenklau) abstammt, der in der alten Rus zur Zubereitung von Suppen verwendet wurde", hieß es auf dem Kanal weiter.

Für den ukrainischen Starkoch Jewgeni Klopotenko war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er sei bereits verärgert gewesen, so Klopotenko, als Freunde ihm erzählten, dass Geschäfte und Restaurants in Europa und den Vereinigten Staaten Borschtsch als russische Suppe anböten.

Er ging samt Topf ins ukrainische Kulturministerium, ließ dessen Mitarbeiter von der dampfenden Suppe kosten und appellierte: "Borschtsch muss geschützt werden". Nach der Verkostung waren sich alle einig. Die Rote-Bete-Suppe sei ukrainischen Ursprungs – und müsse als solche Weltkulturerbe werden. Einen entsprechenden Antrag will das Kiewer Kulturministerium im kommenden Jahr bei der UNESCO einreichen.

Um diesen zu begründen, hat Klopotenko enorme Vorarbeit geleistet. Er gründete eine Nichtregierungsorganisation und engagierte ein Dutzend Experten, Ethnografen und Historiker. Diese entsandte er im vergangenen Sommer auf eine große Borschtsch-Expedition durch alle Regionen des Landes.

Monatelang suchten die Borschtsch-Forscher nach uralten Familienrezepten, befragten Hausfrauen nach Kochtricks und fotografierten lokale Varianten der Suppe. Die Ergebnisse der Reise reichte Klopotenko anschließend beim Kulturministerium ein. Sie sollen die Basis für den UNESCO-Antrag bilden, der die ukrainische Variante der Borschtsch-Zubereitung als immaterielles Kulturerbe festschreiben soll.

Dank dieser Initiative ist die ukrainische Öffentlichkeit in Borschtsch-Fragen wacher geworden – zumindest auf Facebook. Sollte ein Russe irgendwo nach wie vor behaupten, bei Borschtsch handele es sich um ein russisches Gericht, würde dies eine Welle der Empörung auslösen. Die Russen sollten sich mit Schtschi zufriedengeben – einer ähnlichen Gemüsesuppe auf Bouillonbasis, aber mit Sauerkraut. Borschtsch sei ausschließlich ein ukrainisches Gericht, heißt es.

Der russische Humorist Andrei Bocharow löste eine Flut an Kommentaren aus, als er ein Foto eines Borschtsch-Tellers mit einem scheinbar harmlosen Kommentar auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte:

"Nach der Eisbahn ist der russische Borschtsch vorzüglich".

Unter diesem Beitrag tobten umgehend wilde Netzwerkschlachten. Am Mittwoch gab es bereits rund 9.000 Kommentare.

Hunderte ukrainische Nutzer äußerten ihre Empörung und behaupteten, Borschtsch könne nicht "russisch" sein. Es handele sich um ein ukrainisches Gericht. "Borschtsch ist ukrainisch. Und Ihr russisches Gericht ist Schtschi. Nicht verwechseln!" "Es gibt keinen russischen Borschtsch. Borschtsch kann nur ukrainisch sein", hieß es vonseiten der Ukrainer. Einige Diskussionsteilnehmer zielten dabei auch auf die russische Politik ab:

"Wenn man sich für sein Eigen schämt, kann man es bei anderen stehlen und es für sich beanspruchen. Das ist Russlands Politik in Bezug auf Geschichte, Alltag und Riten ..."

Die Russen haben sich daraufhin massiv gewehrt – mit Humor versteht sich. Besonders populäre Kommentare hatten dabei einen ebenso politischen Hintergrund. "Borschtsch war und ist wie die Krim russisch – und wird es auch bleiben". "Präsident Selenskij bat darum, im Zusammenhang mit der Annexion von Borschtsch durch Russland eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates einzuberufen", hieß es in einem anderen Kommentar.

Der bekannte russische Schriftsteller Sergei Lukjanenko zog eine Zwischenbilanz: "Wem gehört Borschtsch? Russen, Kleinrusssen, Weißrussen, Polen? Sie gehört allen! Jedes Land hat seine eigenen Varianten. (...) Lasst uns darüber streiten, wem Pelmeni gehören! Chinesen, Japanern, Russen? Ravioli oder Maultaschen? Die Küche passt sich jedem Land an, und ihre Ursprünge stammen aus einer Zeit, als es noch keine heutigen Staaten und 'besorgte Patrioten' gab."

Inzwischen befassten sich sämtliche russische Talkshows mit der Facebook-Schlacht, während die New York Times (NYT) und The Times bereits Wochen zuvor umfassende Berichte zum Borschtsch-Streit lieferten.

Der russische Schauspieler, der die Auseinandersetzung ungewollt in Gang gesetzt hat, sei amüsiert über so viel Witz in den Kommentaren und sagt, dass Borschtsch Russen und Ukrainer sowie viele andere Völker der Ex-Sowjetunion doch verbinden könne. Man solle einfach auf "russische", "ukrainische", "moldawische" und andere Rezepte beim gemeinsamen Borschtsch hinweisen. "Um ehrlich zu sein, Borschtsch ist ein slawisches Nationalgericht: Er ist russisch und ukrainisch", meint dazu ein Moskauer Starkoch, der von der NYT zitiert wird. "Die Wurzeln sind die gleichen".

Ebenso beschwichtigend äußerte sich noch im Oktober die russische Botschaft in den USA.

"Borschtsch ist ein Nationalgericht vieler Länder, einschließlich Russlands, Weißrusslands, der Ukraine, Polens, Rumäniens, Moldawiens und Litauens", so die russische Botschaft in Washington auf Twitter.

"Wählen Sie Ihren Favoriten", schrieb sie und fügte ein Videorezept hinzu. Dabei handelte es sich um eine Variante, die aus Rindsbouillon und Kartoffeln – gewürzt mit schwarzem Pfeffer – bestand.

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