Rente weg und Konto gekündigt: Wie ein deutscher Rentner auf der Krim unter den Sanktionen leidet
Seit August 2017 weigert sich die zuständige Postbank, Herrn W.*) die ihm zustehende deutsche Altersrente auf ein Konto bei der russischen SBERBANK zu überweisen. Wegen der „Sanktionen gegen die Sberbank“, erläutert eine beim Renten-Service zuständige Mitarbeiterin. Denn jenes Konto befände sich auf der "annektierten" Krim – das ginge aus dem SWIFT-Code SABRRUMMRA1 hervor. In der globalisierten SWIFT-Welt eine leicht nachprüfbare Behauptung, die sich als falsch erweist, wie die Ortsangabe ganz unten im Screenshot offenbart:
Sanktionen strafen Rentner ab
2011 übersiedelte Herr W. mit seiner Frau, einer russischen Staatsbürgerin, aus familiären Gründen nach Kertsch auf die Krim, wo beide auch heute noch ihren ständigen Wohnsitz haben. Schon lange vor der Übersiedlung auf die Krim war Herr W. Kontoinhaber bei der deutschen Postbank. Wegen der 2014 erfolgten Sanktionen gegen russische Banken auf der Krim war Herr W. gezwungen, für Geldüberweisungen aus Deutschland nunmehr ein Konto bei einer Bank zu eröffnen, die auf der Krim geschäftlich NICHT aktiv ist.
Nach den verhängten Sanktionen durch die EU sowie durch die ukrainischen Behörden, erst recht nach rechtsextremistischem Vandalismus gegen ukrainische Filialen der SBERBANK, hatte diese russische Bank im Frühjahr öffentlich verkündet, sich völlig aus der Ukraine zurückzuziehen und alle Anteile zu veräußern. So sollten die Sanktionen deutscher Banken gegen die Person eines deutschen Rentners auf der Krim eigentlich überflüssig sein.
Herr W. wählte ja notgedrungen eine "nur" 110 Kilometer entfernt auf dem russischen Festland in der Stadt Temrjuk in der Region Krasnodar im Großraum Rostow am Don gelegene Filiale der SBERBANK für sein neues Konto – wie der SWIFT-Code korrekt ausweist. Ende gut – alles gut, glaubte Herr W. kurzzeitig. Denn bis August 2017 erfolgten die Renten-Überweisungen dorthin tatsächlich problemlos. Von jenem Konto konnte er dann bei Bedarf über seine Rente verfügen und sogar Überweisungen auf das Konto seiner "lokalen" Bank in Kertsch auf der Krim veranlassen.
Kontokündigung wegen Wohnsitzes auf der Krim
Mitte 2017 allerdings, nach einer durch das Geldwäschegesetz veranlassten und natürlich wahrheitsgemäß beantworteten Anfrage seitens der Postbank zum ständigen Wohnsitz, begannen die "Probleme": Im August 2017 verweigerte die Postbank plötzlich eine Überweisung auf jenes Konto bei der SBERBANK, das der Rentner seit 2014 wegen der Sanktionen anstandslos genutzt hatte. Nach Protest von Herrn W. wurde nun doch noch genau eine (!) Überweisung vorgenommen. Allerdings gab es dann Mitte August 2017 für Herrn W. ganz pünktlich eine "Geburtstagsüberraschung" der besonderen Art: Das seit vielen Jahren bestehende Konto bei der Postbank in Deutschland wurde einseitig mit zweimonatiger Frist zum Oktober 2017 gekündigt.
Auch die Begründung dafür erweckt den Eindruck, man lese eine neuentdeckte Novelle von Franz Kafka: Da sich der Wohnsitz des Deliquenten AUSSERHALB der EU befinde, habe man in solchem Falle das Recht, eine KONTOERÖFFNUNG (sic!) zu verweigern. Das würde allerdings – nebenbei bemerkt – im Klartext bedeuten, dass Herr W. – egal ob die Krim nun "annektiert" wäre oder nicht – gar kein Postbankkonto in Deutschland mehr nutzen kann. Denn die Krim liegt nun einmal – so oder so – wohl noch lange "außerhalb der EU".
Deutscher Renten-Service hilflos gegen Banken
Die letzte Überweisung der Altersrente erfolgte konsequenterweise zum 30. September 2017. Die Bitte an den zuständigen deutschen Renten-Service, künftig – dann eben ohne eigenes Postbankkonto in Deutschland – per Direktüberweisung nach Russland die Rente fließen zu lassen, lief im November 2017 ins Leere. Denn auch hierbei ist für den deutschen Renten-Service wiederum die Postbank zuständig. Auch eine Überweisung durch die Bundesbank könne nicht erfolgen. Zusätzliche Informationen auch vom Bundesbank-Servicezentrum zu den Finanzsanktionen bestätigten zwar das Recht auf ordnungsgemäße Ausführung der Renten-Überweisungen, da Herr W. als Person nicht in den offiziellen Sanktionslisten aufgeführt ist. Aber das könne nach Einschätzung des Renten-Service eben durchaus an den "geschäftspolitischen Entscheidungen einzelner am Zahlungsprozess beteiligter Banken" scheitern. Und das sind nun einmal die Postbank sowie die Deutsche Bank, welche als die Korrespondenzbanken des Renten-Services fungieren.
Western Union und neue Krimbrücke bieten Ausweg
Seit Januar 2018 wird die Rente auf dem Umweg über Konten bei in Deutschland lebenden Verwandten nun per WESTERN UNION auf das russische Festland geschickt, von wo sie dann mit entsprechendem Aufwand an Zeit, aber auch erheblichen Gebühren und Konvertierungsverlusten beim rechtmäßigen Empfänger landet. Ein Glück im Unglück: Seit der Fertigstellung der Krimbrücke kann Herr W. sie nun mit anderthalbstündiger Fahrzeit bei Bedarf in der Filiale der SBERBANK in Temrjuk auch persönlich in Empfang nehmen.
Ob und wieviele Leidensgefährten er eventuell noch hat, weiß Herr W. derzeit nicht:
Leider ist mir nicht bekannt, ob das bei mir aufgetretene "Problem" auch andere Rentner auf der Krim mit Ansprüchen aus der deutschen Rentenversicherung betrifft. Durch die … Sanktionen … entstanden für viele Krimbewohner, Seeleute ... erhebliche Probleme im Bankgeschäft. … Das Ausweichen auf Bankkonten auf dem russischen Festland wird von den meisten Betroffenen als Übergangslösung akzeptiert, zumal von diesen Konten problemlos innerhalb und außerhalb Russlands Bankgeschäfte über Kreditkarten und auch online abgewickelt werden können."
Auf jeden Fall kann und will er nicht tatenlos bleiben. Zumal auch auf seine Frau mit Rentenansprüchen aus der deutschen Rentenversicherung in absehbarer Zeit dieses "Problem" zukommen wird. Hier ist es sogar noch komplizierter, da sie ausgehend von der Argumentation der Postbank nicht einmal ein für die Überweisung der Rente notwendiges Konto in Deutschland eröffnen darf und jede Auslandsüberweisung vom Einverständnis der involvierten Deutschen Bank als Korrespondenzbank abhängt.
Was passiert, wenn die jetzt noch aktiven Verwandten in Deutschland nicht mehr in der Lage sind, als Vermittler bei den Überweisungen aufzutreten? Wer haftet für die entstandenen materiellen und moralischen Schäden von Herrn W.?
Angst vor Hackern durch Petitionen?
Damit nicht genug des Slapsticks: Jedem Bürger steht es laut Art. 44 der Charta der Grundrechte der EU frei, sich mittels Petitionen um sein Recht zu bemühen. Daher wurde vonseiten des Herrn W. im Februar der Versuch unternommen, beim Deutschen Bundestag eine Petition zu seinem nicht selbst verschuldeten "Problem" einzubringen. Das ist in unserer hochentwickelten Zivilisation durchaus über post.pet@bundestag.de sogar elektronisch möglich. Auch das war allerdings zunächst schwieriger als vermutet. Denn angesichts der ernsthaften Bedrohungen, die Bundesregierung wie Bundestag von russischen Hackern zu verspüren glauben, wurde von Herrn W. jede E-Mail, die mit dem Domain-Namen @mail.ru endet, erst einmal abgewehrt.
Auch das Bundesamt für Sicherheit der Informationstechnik, das vermutlich schon aus Gründen der Gefahrenabwehr die E-Mail "entschlüsselt" hatte, fühlte sich am Ende offenbar "von Amts wegen" für das Anliegen des Rentners nicht zuständig. So griff Herr W. zu einem Trick, der ja unter Hackern zum Kleinen Einmaleins gehört, nämlich den wahren Absende-Ort verschleiern: Er nutzte seinen noch existierenden deutschen E-Mail-Account bei @freenet.de. Und so besitzt er nun glücklich seit März 2018 ein Aktenzeichen Pet 3-19-11-822-xxxx vom Petitions-Referat 3, zuständig u. a. für alles, was das Auswärtige Amt angeht. Da aber die Mühlen der deutschen Verwaltung nicht nur gründlich mahlen, sondern dafür auch einige Zeit brauchen, hat er auf seine höfliche Zwischenanfrage von Anfang Juni zum etwaigen Bearbeitungsstand bis heute noch keine Antwort erhalten.
Wenn sich nicht bald etwas bewegt, sieht sich Herr W. genötigt, eben noch eine Etage höher anzuklopfen:
Ich habe vor, falls es in absehbarer Zeit zu keiner für mich und eventuell auch andere Betroffene zufriedenstellenden Lösung kommt, mich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden."
Grundrechte in der Wertegemeinschaft
Es bleibt ja immer noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Denn in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000/C 364/01) sind ja – neben dem Artikel 44 zum Petitionsrecht – noch viele weitere einschlägige Artikel zu finden, die da wären:
Artikel 17 (1) Eigentumsrecht,
Artikel 21 Nichtdiskriminierung;
Artikel 25 Rechte älterer Menschen auf würdiges, unabhängiges Leben,
Artikel 34 (1),(3) Soziale Sicherheit,
Artikel 36 Zugang zu Dienstleistungen,
Artikel 41 Recht auf eine gute Verwaltung.
Vielleicht kommt auch von dort allfällige Hilfe nicht schneller als aus Deutschland, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
*) Name von der Redaktion geändert.
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